Verdacht auf Zöliakie – wann ist eine Magenspiegelung noch nötig?

Über Jahrzehnte hinweg galt eine Magenspiegelung (Ösophagogastroduodenoskopie – kurz ÖGD) unter Analgosedierung als der Goldstandard, um bei Kindern und Jugendlichen eine zuverlässige Diagnose bei Verdacht auf Zöliakie stellen zu können. Nur in wenigen Ausnahmefällen war dies ohne möglich. Die im Mai dieses Jahres veröffentlichte, offizielle deutsche Leitlinie zur Zöliakie zeigt nun einen neuen Weg auf, wie bei circa der Hälfte der Kinder und Jugendlichen auf eine Endoskopie verzichtet werden kann.

Europaweit leiden etwa ein Prozent der Kinder und Jugendlichen unter Zöliakie, einer Autoimmunerkrankung, die durch Gluten verursacht wird. Das Klebeeiweiß Gluten ist in Getreidesorten wie beispielsweise Weizen, Dinkel, Roggen oder Gerste enthalten und löst bei den Betroffenen schon bei sehr geringen Mengen eine umfangreiche Immunreaktion aus. Diese wiederum führt unter anderem zu einer Erkrankung des Dünndarms, bei der die Schleimhäute chronisch entzündet sind.

Daraus können vielfältige Beschwerden resultieren wie unter anderem:

  • Chronische Durchfälle, aber auch Verstopfung (Obstipation)
  • Übermäßige Blähungen und Blähbauch (Meteorismus)
  • Unzureichendes Wachstum und unklare Gewichtsabnahme (Gedeihstörungen)
  • Chronische und immer wiederkehrende Bauchschmerzen
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Appetitlosigkeit, Völlegefühl, Fütter- und Essprobleme, wählerisches Essverhalten („Picky Eater“)
  • Gehäufte Aphten der Mundschleimhaut
  • Aufnahmestörungen von Nährstoffen, z.B. Eisenmangel, bis hin zur Blutarmut (Anämie)

Allerdings sind die Beschwerden (Symptome) der Zöliakie bei Weitem nicht auf den Magen-Darmtrakt beschränkt! Die Zöliakie gilt als das Chamäleon unter den gastrointestinalen Erkrankungen, da sie eine Vielzahl an Symptome im gesamten Körper verursachen kann. So sollte beispielsweise auch bei anhaltender Müdigkeit, chronischen Kopfschmerzen, Verhaltens- und Wesensauffälligkeiten (z.B. Misslaunigkeit, ADHS), Asthma, auffälligen Leberwerten und einigen Hauterkrankungen eine Zöliakie-Diagnostik erfolgen.
 Genetische DispositionAuch wenn die genauen Auslöser für Zöliakie bis heute nicht bekannt sind, so ist die Veranlagung für die Krankheit erblich (genetisch) bedingt. Die hauptsächlich für eine Zöliakie verantwortlichen Genvarianten heißen HLA-DQ2 und HLA-DQ8, beide Varianten können sowohl einzeln als auch zusammen auftreten. Ist dies nicht der Fall, so sind in der Regel keine weiteren Untersuchungen mehr notwendig. In Europa sind allerdings etwa 30–40 Prozent der Bevölkerung Träger dieser Varianten, aber nur etwa 3–4 Prozent dieser Gen-Träger erkranken schlussendlich an einer Zöliakie, sodass die genetische Untersuchung nur in Ausnahmefällen im Rahmen der Diagnostik sinnvoll ist.Aufgrund genetischer Veranlagungen tritt die Erkrankung häufiger innerhalb einer Familie auf, so sind etwa 10 Prozent der Verwandten ersten Grades von Zöliakie-Patienten ebenfalls betroffen. Daher sollten enge Verwandte (z.B. Eltern und Geschwisterkinder) auf die Zöliakie hin getestet werden, auch wenn sie keine Beschwerden haben. 

Zöliakie-Verdacht – mehrere Tests erforderlichBesteht die Vermutung, dass eine Zöliakie bestehen könnte, sind für eine zuverlässige Diagnose immer mehrere Tests erforderlich. Denn erst wenn die einzelnen Tests, die alle ihre Stärken und Schwächen haben, richtig interpretiert und die einzelnen Ergebnisse zusammengeführt werden, kann mit hoher Gewissheit eine Diagnose gestellt werden.Für die Diagnose der Zöliakie spielen bestimmte Antikörper im Blut der Kinder und Jugendlichen eine wichtige Rolle. Bei den Antikörpern, auch Immunglobuline (Ig) genannt, gibt es fünf Klassen, für Zöliakie sind nur die Klasse A (IgA) und Klasse G (IgG) relevant.

Unter den verschiedenen Bluttests haben sich die folgenden beiden Tests in Kombination als erster diagnostischer Schritt bewährt:

(anti-) tTG-IgA Test (Antikörper der Klasse A gegen Gewebstransglutaminase) – Bei Zöliakie produziert der Körper Autoantikörper gegen seine eigene Gewebstransglutaminase. Der Test identifiziert die meisten Zöliakie-Betroffenen, vorausgesetzt diese haben noch keine glutenfreie oder -reduzierte Diät begonnen. Selbst für sehr kleine Kinder liefert dieser Test zuverlässige Ergebnisse, insofern sie schon genug glutenhaltige Beikost bekommen.

Gesamt-IgA Test – misst die gesamte IgA-Konzentration im Blut. Mit diesem Test werden die Betroffenen identifiziert, die unter einem IgA-Mangel leiden, also grundsätzlich keine Antikörper dieser Klasse bilden können. Bei diesen Kindern und Jugendlichen ist ein alleiniger negativer tTG-IgA Test nicht zuverlässig.

Bei einigen Patienten kann auch die Bestimmung der entsprechenden Klasse G (IgG)- Antikörper nötig werden, zum Beispiel bei einem totalen IgA-Mangel.

Diagnose ohne Biopsien und genetischer Untersuchung

Seit diesem Jahr kann ausschließlich bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren eine Diagnose auch ohne Biopsien und genetische Untersuchung gestellt werden, wenn die tTG-IgA Antikörper über dem 10-fachen der oberen Norm des Tests liegen. Zudem müssen die Eltern nach einer Aufklärung durch eine*n Kinder-Gastrologen*in über die verschiedenen Möglichkeiten der Diagnosefindung explizit auf die Biopsien verzichten.

Ohne Biopsieentnahme und mikroskopischer Untersuchung müssen dann zusätzlich in einer zweiten, unabhängigen Blutwertbestimmung die sogenannten Endomysium-IgA-Antikörper erhöht nachgewiesen werden, damit die Diagnose sicher feststeht.

In allen anderen Fällen sollte auch weiterhin zur Sicherung der Diagnose Duodenalbiopsien im Rahmen einer ÖGD entnommen und auf Zöliakie-Kriterien hin untersucht werden!

Vor der Diagnosestellung – weiterhin Gluten essen

Am sichersten und besten kann eine Zöliakie bei einer Untersuchung festgestellt werden, wenn vor der Zöliakie-Diagnostik in der Ernährung weder das Gluten reduziert noch darauf verzichtet wurde. Ansonsten kann die Diagnose verschleiert werden, da unter Diät die Zöliakie oft sehr schnell mit einer Normalisierung der Antikörper reagiert. 

Grundsätzlich gilt, dass von einer glutenreduzierten oder -freien Kost mit oder ohne Beschwerden (sogenannte Lifestyle-Diät) ohne vorab erfolgter kindergastroenterologischer Abklärung abzuraten ist. Da jede unnötige Einschränkung der Ernährung bei Kindern und Jugendlichen zu Entwicklungsstörungen und Mangelerscheinungen führen kann, sollte bei langfristiger Kosteinschränkung zudem stets eine professionelle Ernährungsberatung erfolgen.